Katharina von Zimmern (2. von links)…

Es wird gerne verschwiegen: Zürich war von 1218 bis zur Reformation eine formell von der Äbtissin des Fraumünsters regierte Stadt. Die Äbtissin hatte Sitz im Reichstag des Heiligen Römischen Reiches – zuhause machten die Zünfter allerdings damals wie heute mit der Stadt, was sie grad wollten.

Als die Reformation ausbrach und das Volk vor den Klostermauern tobte – klar, wer will nicht Kirchensteuer sparen – übergab die dannzumalige Äbtissin, die fesche Katharina von Zimmern (1478-1547) am 7. Dezember 1524 das Kloster samt seinen Besitztümern dem Rat der Stadt Zürich.

Politisch war das unausweichlich und friedenswahrend – rechtlich aber unzulässig und nicht unumstritten – «unloblich» (wie ihr Neffe meinte).

Die schöne Katharina wanderte in ihre deutsche Heimat zurück, verheiratete sich und erfreute sich bescheiden aber würdig eines weltlichen Lebens. Und wenn sie nicht (mit 70) gestorben wäre, lebte sie heute noch.

Soweit das schöne Märchen. Nach langer Vergessenheit kommt nun das Denkmal.

B. störte sich sogleich an der Phantasielosigkeit und Beliebigkeit von 37 Kupferquadern zwecks Erinnerung an eine zarte Klosterfrau und konnte nicht widerstehen, sich dazu mit bissigen Satire bemerkbar zu machen

…hier das wohlverdiente Denkmal (glänzend neu, noch ohne Patina)

Hier vorab das Original – der Text wird  weiter unten leicht lesbar dargestellt und kommentiert…

Der Form nach handelt es um ein heuchlerischen Schreiben vom 30. Mai 2002, an den löblichen Stadtrat von Zürich, in dem B. sich um die Bauausführung für das tolle Denkmal bewirbt…

..welches von Dr. Jean-Pierre Hoby, Direktor Kulturförderung im zuständigen städtischen Präsidialdepartement – spät aber doch  – am 23. September 2002 in wohlgesetzten Worten beantwortet wurde (gut lesbares PDF ganz unten).

 

Hier nun das Schreiben (links, in Einzelzeile zerlegt) samt Kommentar (rechts)

 

Hier nun das Schreiben (weiss  hinterlegt) samt Kommentaren (gelb)

EINSCHREIBEN
An den löblichen Stadtrat
von Zürich
Stadthaus
8022 Zürich

30. Mai 2002

Bewerbung um Denkmalerrichtung

Sehr geehrte Damen und Herren

Einen Stadtrat  “löblich” anzusprechen, ist zwar eine alte Tradition… meist glatt verlogen…

…aber in der schlicht-republikanischen Schweiz jenseits von Gut und Böse – genau drum steht es denn hier auch so…

EINSCHREIBEN macht schon mal ein seriöses Bild…

 

Mit grosser Freude lese ich in der NZZ vom 28. Mai 2002, dass der Äbtissin Katharina von Zimmern (1478 – 1547), welche in der Reformationszeit durch kampflose Abtretung ihres Klosters an die Stadt positiv auffiel, ein ansprechendes Denkmal im Hof zwischen Fraumünster und Stadthaus errichtet werden soll.

Die Freude ist etwas gesucht – zudem schwingt die Kritik des Juristen mit, denn einfach so was verschenken geht nicht.

Ein städtischer Spitaldirektor kann auch nicht einfach so und ohne Zustimmung von oben sein ganzes Spital an eine Privatklinik verschenken. Gibt Gefängnis, nix Denkmal.

Wie bei Denkmälern für Feldherren längst üblich, wird zwar einmal mehr Personenkult um einen Chef/Chefin getrieben, und alle Gefallenen und Mitstreiter gehen leer aus. Für alle Nonnen, Klosterfrauen und barmherzigen Krankenschwestern gibt es für jahrhundertelange aufopfernde Pflegearbeit nämlich meines Wissens kein Denkmal. Wer auf ein solches spekuliert, muss schon  – do ut des – ein grösseres Vermögen, das ihm rechtlich gar nicht selber gehört, unbefugt verschenken und dann ca. 500 Jahre geduldig auf sein wohlverdientes Denkmal warten.

[do ut des = lat. “ich gebe,damit du gibst”]

Unsere Katharina erhielt ihr Denkmal 2003, also exakt 479 Jahre nach ihrer grosszügigen Veruntreuung von 1524.

Andererseits bleibt ihr eine Heiligsprechung dank rechtzeitiger Konversion zum Protestantismus  erspart – bei den heutigen Päpsten ist andererseits nichts gänzlich unvorstellbar…

Ein Orden für den Generalfeldmarschall, dafür den Tod für Tausende biedere Familienväter… nichts neues unter der Sonne. Immerhin gibt es inzwischen da und dort ein “Grab des Unbekannten Soldaten” – wer hat je an die unbekannte Krankenschwester oder dergleichen gedacht?

Hans Waldmann, Zürcher Despot, einst mächtig, dann 1489 geköpft, musste nur bis 1937 = 448 Jahre auf sein Denkmal warten. Weniger lang, dafür aber auch um einen Kopf kürzer.

Dennoch herrscht Freude: Der Vorschlag von Frau Anna-Maria Bauer setzt die femininen Formen der jugendlichen Äbtissin vermittels 37 ziegelsteinähnlicher Kupferquader, in Altarform aufgebaut, in einen bezaubernden Metallklotz um, der sich wohltuend von der kitschig-neugotischen Umgebungsarchitektur abhebt.

…ein grober Klotz für den Groben Ernst? Nö, für eine zarte, gebildete Renaissanceschönheit. Auffallend feminine Formen, nicht wahr?

Der Grobe Ernst ist übrigens keine rauhe Sagengestalt, sondern der Name eines Restaurants im Niederdorf, benannt nach seinem ersten Gastwirt, Ernst Grob.

Diese Idee wird nicht nur als zeitlos gewürdigt, ich sehe darin vor allem auch Zweckmässigkeit und Beliebigkeit: Wir Schweizer, die wir das hehre, vaterländische Erstaugustfeuer hemmungslos auch zum grillieren der dazugehörigen Bratwürste zweckentfremden, wissen sicher auch in späteren Jahrzehnten, wenn vielleicht niemand mehr weiss, wer die gute Katharina wirklich war, den praktischen und dank Metallausführung vandalensicheren  Picknicktisch in Stadthausnähe sinnvoll zu nutzen.

B.’s böse Ahnung hat sich voll bestätigt. Spuren von Trinkgelagen (Flaschenboden) auf dem nützlichen Denkmal…

Das Ding wiegt übrigens immerhin 11 Tonnen – Kupferdiebe klauen deshalb lieber SBB-Fahrleitungsdraht…

 

Zudem ist es allemal angebracht, jedes freie Plätzchen Park oder Innenhof mit einem Denkmal zu verstellen, denn wo nichts ist, kann sich ein unbegabter Normalverbraucher oder städtischer Beamter schwerlich was denken, daher: Denkmäler überall und jederzeit! Cogito ergo sum (Cartesius), ich denke, daher bin ich. Das Denk-Mal regt somit zum Sein an, ein möglicherweise unbeabsichtigter philosophischer Nebennutzen, der wohltuend zum profanen Picknick kontrastiert, obwohl gilt: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral (Brecht).

Denkt, daher ist er. Denk mal nach!

 

Denkt vulgärer, daher isst er nicht – er frisst.

 

Praktisch dünkt mich auch die beliebige Wandelbarkeit: Mangels äusserer Ähnlichkeit zu irgendwas können spätere Generationen das Denkmal ohne besondere Mühe durch Änderung der Inschrift, welche als Spruchband auf dem Boden des Innenhofes angebracht werden soll, umwidmen, z.B. in eine Gedächtnisstätte für Velorennfahrer Ferdi Kübler (1919 – ????) oder – la suisse n’existe pas – als altare della patria zum Gedenken an die bis dannzumal an Dekadenz zugrunde gegangene Schweizerische Eidgenossenschaft (1848 – ????).

Die Usurpation von Denkmälern war schon bei den alten Ägyptern üblich.

Je abstrakter das Denkmal, desto flexibler sind die Umwidmungs-Möglichkeiten. Hier wurde also mal vorausgedacht!

Hier Velosportler Ferdy Kübler, Nationalidol … inzwischen (2016)  tatsächlich – wie von B. trefflich vorhergesehen – verstorben.

 

Wie dem auch sei, mir imponiert die in der Nähe der Bahnhofstrasse so passende goldbarrenartige Gestaltung, die mich ganz persönlich unmissverständlich an die Solidaritätsstiftung erinnert. Bei einem Kilopreis von Fr. 16.000 könnte man das ganze übrigens bei gleichbleibenden Kosten auch aus 21,8 kg purem Gold (im Gegensatz zum patina-anfälligen Kupfer verwitterungsbeständig und säurefest) errichten, etwa in Form von knapp zwei 400-Unzen-Goldbarren der Nationalbank, diebstahlsicher verschraubt.

 

Zentralbankbarren sind meist 400 Unzen = ca. 12,5 kg schwer. 2002 waren sie allerdings billiger als heute.

Dass das ganze Ding inzwischen längst dunkelbraun statt kupferglänzend geworden ist, hat B. nachweislich vorhergesehen und angekündigt … ein finsterer Klotz. Mehr eine strategische Metallreserve für das Eidgenössische Oberkriegskommissariat – ja, kein Jux, das gibt es wirklich –  und es befasst sich nachweislich mit lebenswichtigen Fragen, wie hier aufgezeigt wird:

Da das ganze nicht aussieht wie ein fertiges Denkmal, sondern eher wie der Sockel zu einem solchen, entsteht der anregende Eindruck von Unvollkommenheit – oder das Gefühl, den Erbauern sei mitten in der Bauphase das Geld ausgegangen.

 

Geld war aber genug da, sogar für ein richtiges, schönes Denkmal: Tatsächlich erzielte die Stadt 2003 unbeabsichtigt einen Überschuss von CHF 136 Mio – es hätte schlimmstenfalls noch für bis zu 544 zusätzliche Billigversion-Denkmäler (Sockel only) à Franken 250.000 gereicht.

Das Oberkriegskommissariat (oder, falls es das gibt, das Unterkriegskommissariat Zürich/rechts der Limmat) hätte ob der verstärkten Kupferreserve seine helle Freude gehabt.

 

Gewaltig ist allerdings der Aufwand, den die finanzschwache und steuerlich unattraktive Stadt – die das der Äbtissin 1524 entwundene Klostervermögen offenbar in den letzten 478 Jahren nicht effizient verwaltet hat – sich leisten will. Eigenartig-nebulos ist die Vorstellung, das Projekt komme auf „250.000 bis 350.000 Franken zu stehen“.

Schon eigenartig, diese Preisdifferenz – Kupfer ist Kupfer, das hat einen Weltmarktpreis.

In jedem anderen Land würde man klar auf Korruption tippen. In Zürich nicht, die Zuständigen rechnen wohl nur vorsichtshalber mit Marktschwankungen und scheuen die Mühen einer Terminmarktabsicherung.

Wir sprechen also von Kosten von bis zu Fr. 9.459,46 pro Kupferquader, vermutlich einschliesslich Kosten der Umweltverträglichkeitsprüfung und anderer Behördenschikanen. Falls Fr. 250.000 (Fr. 6.756,76/Quader) reichen, könnte man statt dessen mit den eingesparten Fr. 100.000 weitere 14,8 Quader anbauen und das Denkmal, der Bedeutung der Sache gerecht werdend, um 40% vergrössern!

Ferdinand Kürnberger hatte 1872 den Begriff “Denkmalpest”  geprägt, gegen all die Monumente jener Epoche…

 

Hier muss ich mich als Steuerzahler für die gute Sache wehren. Es darf nichts ein, dass man für 37 simple Kupferquader, die ja ohne besonderes handwerkliches Können auf Hundertstelmillimeter genau in jeder zweitklassigen Metallwarenfabrik angefertigt werden können, Fr. 350.000 aufwirft – um einer sonst unbekannten Klosterfrau zu gedenken, die weder quaderartig-kantig war oder dachte, ein allzu freizügiges Herz, keines  aus Metall hatte, somit mit Kupfer nichts am Hut (bzw. unter der Haube) hatte und auch nicht wusste, was ein Picknick ist.

Zum Thema Haube:

Weshalb die Aufregung wegen der Musliminnen? Noch in meiner Kindheit trugen katholische  Nonnen exakt dieselben Gewänder. Und selbst im reformierten Zürich sieht mal allenthalben (maus)grau gekleidete Diakonissinnen, die aussehen wie frisch gebleichte ältliche Araberinnen.

 

Möglicherweise wäre die gute Frau allerdings zu einem Buntmetall-Klotz erstarrt, wenn sie wüsste, was man da zu ihren Ehren in ihren einstigen Garten stellt.

Kurz und gut: bei allen guten Absichten wird deutlich zuviel Geld unnötig ausgegeben und es keimt der Verdacht, eine Mafia aus selbsternannten Kunstexperten und Künstlern saniere sich auf Kosten der Allgemeinheit, mit Kickbacks vom Kupferschmied und Champagner und Lachsbrötchen bei der Einweihungsfeier.

…wie geahnt: alles was Rang und Namen hat, von Bundesrätin Calmy-Rey angeführt… Männer sind nur für Statistenrollen zugelassen.

Wein und teure Brötchen für die selbsternannte Kulturelite; Steuerrechnungen fürs einfache Volk.

B, offensichtlich ein Meister der Politischen Antizipation hat dies alles weise vorausgesehen, wie sein Brief beweist.

Derlei Schmach möchte ich nicht auf der Stadt und ihrer Lieblingsäbtissin sitzen lassen. Ich gehe davon aus, dass die Errichtung dieses zauberhaften Denkmals öffentlich ausgeschrieben wird, damit die Belastung für den Steuerzahler in Grenzen bleibt und bewerbe mich schon heute um die Bauausführung.

Ich darf davon ausgehen, dass Sie mich zu gegebener Zeit zur Offertstellung einladen und sichere Ihnen schon heute eine technisch perfekte und wesentlich preisgünstigere Ausführung sowie pünktliche Fertigstellung auf den 8. Dezember 2003 zu und freue mich auf eine angenehme Zusammenarbeit.

Mit freundlichen Grüssen

cc:
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Johann Eduard Bechtiger (1862-1930)

Zudem war B.’s Urgrossvater  Kupferschmied in Bütschwil/Toggenburg, da ist die Familienehre gefordert.

 

Nun folgt das gelungene Schreiben von Dr. Hoby. Da die Einweihung reine Frauensache war, kam er wohl nicht zum Wort.

Darunter können Kommentare abgegeben werden – ich schätze Schmeicheleien aller Art, vertrage aber auch Kritik…

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